Digitale Dienstleistungen im Fokus Die Herausforderungen der Cloud betreffen alle EU-Bürger

Autor / Redakteur: Xavier Perret* / Florian Karlstetter

Die Cloud ist die Basis auf deren Grundlage die Unternehmen der neuen Wirtschaft ihre Dienstleistungen anbieten. Sie hat in den letzten Jahren zahlreiche bahnbrechende Innovationen ermöglicht. Allerdings ist die Cloud vor allem auch die unbekannte Kehrseite der digitalen Revolution, für die die breite Öffentlichkeit immer noch nur wenig Interesse zeigt.

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Warum es wichtig ist, dass Unternehmen und deren Kunden eine europäische Alternative zu den amerikanischen und asiatischen Cloud-Providern zur Verfügung steht, erklärt Xavier Perret, Chief Digital and Marketing Officer (CDMO) bei der OVH Gruppe im Interview.
Warum es wichtig ist, dass Unternehmen und deren Kunden eine europäische Alternative zu den amerikanischen und asiatischen Cloud-Providern zur Verfügung steht, erklärt Xavier Perret, Chief Digital and Marketing Officer (CDMO) bei der OVH Gruppe im Interview.
(Bild: © Visions - stock.adobe.com)

Dabei steht die Cloud im Mittelpunkt der aktuell größten Herausforderungen, allen voran der Schutz und die Verarbeitung personenbezogener Daten. Xavier Perret, Chief Digital and Marketing Officer (CDMO) bei der OVH Gruppe, erklärt, warum es so wichtig ist, auch einen europäischen IT-Dienstleister unter den weltweit größten Cloud-Anbietern zu haben.

In einer Zeit, in der GAFAM (Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft) als die neuen Führer der Wirtschaft mit unbegrenzter Macht angesehen werden, präsentiert sich OVH als europäischer Konkurrent. Ist es wichtig, in einer globalen Wirtschaft eine europäische Alternative zu den großen amerikanischen Unternehmen zu haben, die zurzeit das Web beherrschen?

Xavier Perret: Die Erhebung und Nutzung von Daten findet heutzutage in gewaltigem Umfang statt. Die Nutzer sind darüber mal mehr, mal weniger ausführlich informiert und erhalten im Gegenzug immer leistungsstärkere IT-Dienstleistungen, die sie im Alltag wie im Beruf nutzen.

Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist seit dem 25. Mai 2018 in Kraft. Hierbei handelt es sich um ein bedeutendes Projekt zur Harmonisierung des Datenschutzrechts in Europa, das verschärfte Bestimmungen für die Datenverarbeitung in Unternehmen beinhaltet und somit praktisch alle heutigen Unternehmen betrifft. Mit der DSGVO will die EU den Bürgern die Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten zurückgeben und dabei das regulatorische Umfeld für Unternehmen vereinfachen.

Ein großer Fortschritt, der bestätigt, dass sich die EU für den Schutz des Privatlebens und die Wahrung des Datengeheimnisses einsetzt. Auch die Daten der Unternehmen fallen unter diesen Schutz, die sich gegen die international immer intensivere Konkurrenz behaupten müssen (eine weitere Nebenwirkung der digitalen Revolution).

Ich glaube, dass die Umsetzung dieser neuen Verordnung (die für Unternehmen einen großen Aufwand bedeutet) auch die Gelegenheit bietet, das öffentliche Bewusstsein zum Thema Datenschutz zu schärfen.

Laut einer Umfrage der Boston Consulting Group misstrauen die Hälfte der Deutschen Unternehmen beim Schutz Ihrer persönlichen Daten und 56 Prozent bezweifeln, dass diese im Internet ausreichend geschützt sind (Umfrage von YouGov).

Es ist an der Zeit, über diese unbestimmte Sorge hinaus zu gehen und die wahren Herausforderungen, wie beispielsweise die der Datenlokalisierung, sowie die zugehörigen Gesetze besser verstehen zu lernen. Es muss EU-Bürgern klar sein, dass die Cloud keine „imaginäre Wolke“ ist, die über unseren Köpfen schwebt. Ihre Daten sind physisch in Rechenzentren gespeichert, und es gelten verschiedene Datenschutzregelungen, je nachdem, ob sich dieses Rechenzentrum nun in Deutschland, Europa oder den Vereinigten Staaten befindet (man denke zum Beispiel an den amerikanischen Patriot Act oder die Überwachungsprogramme, die in den letzten Jahren aufgedeckt wurden). Das Gleiche trifft zu, wenn Daten zwar in Deutschland gehostet sind, allerdings von einem Cloud-Anbieter, der unter amerikanisches oder asiatisches Recht fällt (bei der extraterritorialen Anwendung bestimmter Regelungen). Denn auch China ist erfolgreich auf dem IT-Markt eingestiegen und will nun auch Europa erobern.

Bei einem aktuell starken Wachstum von über 30 Prozent pro Jahr − und das in einem Business, das erhebliche Investitionen erfordert − wird sich der Cloud-Markt in den nächsten Jahren stark konsolidieren. Genau genommen hat dieser Prozess bereits begonnen. Schon bald werden sich vielleicht zehn Cloud-Anbieter den Markt teilen. Genau aus diesem Grund finden wir es so wichtig, dass Unternehmen und deren Endkunden auch eine europäische Alternative zu den amerikanischen und asiatischen Cloud-Providern zur Verfügung steht.

Es ist eine Frage der digitalen Unabhängigkeit. Und wenn man bedenkt, welchen Stellenwert diese Technologien in unserem Leben einnehmen, wird direkt klar, dass diese geopolitischen Herausforderungen alle EU-Betrüger betreffen.

Was unterscheidet die OVH Cloud von anderen Cloud-Lösungen? Wenn von Technologien zur Datenspeicherung und Datenverarbeitung die Rede ist, was genau ist dann diese „europäische Besonderheit“?

Xavier Perret: Neben den rechtlichen Aspekten, die natürlich von höchster Bedeutung sind, vertreten wir auch ein anderes, offenes Modell der Cloud. Wir bei OVH sind davon überzeugt, dass Unternehmen ihre Entscheidungsfreiheit bei der Wahl Ihrer IT-Lösungen bewahren müssen. Das beinhaltet neben der freien Wahl der Cloud-Anbieter auch die Freiheit, diese zu wechseln, Anwendungen auf mehrere Anbieter aufzuteilen, einen Teil der Infrastruktur unternehmensintern zu behalten (Hybrid Cloud) sowie den Standort der gespeicherten Daten zu bestimmen. Es ist wichtig, diese Freiheit zu achten und zu beschützen.

Datenreversibilität (d. h. die Möglichkeit, diese zu migrieren oder zurückzuführen) ist nicht immer möglich, oder kann zumindest aufgrund technischer Lock-in-Effekte äußerst komplex sein. Um dem entgegenzuwirken, haben wir unsere Cloud-Lösungen auf technischen Standards aufgebaut und unter anderem auch Open-Source-Technologien verwendet.

Die Cloud ist zu einem strategischen Thema für Unternehmen geworden. Sie ist inzwischen zu wichtig, um Risiken einzugehen oder einen lebenslangen Vertrag mit einem Anbieter abzuschließen. Wer das Konzept der Open Cloud unterstützt, verhindert, dass ein dominanter Akteur seine Regeln durchsetzen kann, indem er einen Teil des Marktes selbst kontrolliert.

Dieser aktive Ansatz hat sich erst kürzlich konkretisiert. Auf Initiative von OVH wurde die Open Cloud Foundation gegründet, die etwa 30 Unternehmen, professionelle Verbände, öffentliche Organisationen und Forschungszentren umfasst. Die Stiftung befasst sich mit Fragen zu Vermittlungsdienstleistungen (es wird immer häufiger auf Vermittler zurückgegriffen, damit Endkunden ihre Dienstleistungen entdecken und auf diese zugreifen können, z. B. Suchmaschinen, Marketplaces etc.) sowie den aktuellen Herausforderungen bezüglich geistigen Eigentums, das heißt mit Hinblick auf Künstliche Intelligenz. Dies betrifft die neuen Lösungen um „Cognitive-Computing-as-a-Service“, die sie mit Ihren Daten trainieren, deren „trainierte Neuronen“ jedoch nicht Ihnen gehören.

Meiner Meinung nach weist der europäische Ansatz vor allem einen ganz wesentlichen Unterschied auf: Wir sind uns der gesellschaftlichen Auswirkungen dieser digitalen Umwälzung viel mehr bewusst. Gerade die Europäer, allen voran Deutsche und Franzosen, sind dabei, einen kritischen Standpunkt zu den neuen Technologien zu entwickeln. Sie sind sich der Vorteile ebenso bewusst wie der möglichen negativen Auswirkungen: Man spricht von voreingenommenen Algorithmen, und davon, wie diese sich auf unser tägliches Leben auswirken. Sie beeinflussen unseren Umgang mit Informationen, unsere Wahl in kulturellen und politischen Fragen, sogar, wohin wir reisen, ... all das unter dem Deckmantel der vermeintlichen Neutralität. Es ist so wichtig, diese in Frage zu stellen!

Jeder kann die Vorteile der sogenannten „kulturellen Ausnahme“ sehen, die Kultur in internationalen Verträgen nicht als übliches Gut behandelt, vor allem mit Hinblick auf den internationalen Handel. Es ist gut, dass wir eine unabhängige europäische Filmindustrie haben, die sich den amerikanischen (und bald auch den chinesischen) Kassenschlagern entgegenstellt. Denn nur so wird eine konkurrenzlose Vormachtstellung verhindert und die kulturelle Vielfalt geschützt.

Dasselbe gilt auch für die Cloud: Die amerikanische Übermacht im IT-Sektor bringt unweigerlich auch eine kulturelle Übermacht mit sich, wie Scott Galloway in seinem Buch „The Four: Die geheime DNA von Amazon, Apple, Facebook und Google“ erklärt.

OVH nimmt hier eine strategische Rolle im digitalen Wandel der Unternehmen ein, indem wir eben diese europäische Besonderheit in unseren Cloud-Infrastrukturen und im Bereich der Datenverarbeitung mit einbringen.

Sollten wir uns also zurücknehmen? Die neuen Technologien weniger schnell annehmen und einsetzen?

Xavier Perret: Zurücknehmen müssen wir uns nicht. Aber mehr darüber nachdenken. Alle Unternehmen sind Teilnehmer der digitalen Transformation. Wenn wir jetzt abbremsen und den digitalen Zug verpassen, gehen wir das Risiko ein, von neueren, agileren Akteuren verdrängt zu werden. Sie werden die neuen Technologien richtig eingesetzt haben, um den Markt aufzurütteln und etablierte Akteure zu überholen, die sich damit abmühen, ihr Leistungsversprechen zu halten, weil ihr Management und Ihre IT einfach zu träge waren (Stichwort IT-Legacy). Auf den digitalen Zug aufzuspringen ist jedoch nicht nur reine Verteidigungstaktik, sondern auch Teil einer offensiven Strategie. Aktuelle IT bietet Unternehmen die Gelegenheit, effizienter zu arbeiten und sich auf ihr Kerngeschäft und das eigene Know-how zu konzentrieren. Sich neu zu erfinden.

Es ist verlockend, ohne zu Zögern alle Möglichkeiten der Spracherkennung, semantischer Analysen oder von Gesichts- und Objekterkennung in Fotos und Videos voll auszunutzen, um angebotene Dienstleistungen zu erweitern. So viele datenintensive Technologien... Wir müssen jedoch vorsichtig sein in dieser Welt der digitalen Dienstleistungen, die kulturelle, historische und territoriale Grenzen ignorieren, und ganz genau darauf achten, wie und warum wir Daten sammeln, verarbeiten und nutzen. Tun wir dies nicht und gehen nicht wachsam mit den gesammelten Daten um, werden Nutzer sich womöglich gegen Dienstleistungen entscheiden, die sie heute so gerne verwenden. Denn letzten Endes werden sie den wahren Preis dieser Dienste erkennen: den Verlust der Kontrolle über sein Privatleben.

Sind Cloud und Algorithmen neutrale Technologien?

Xavier Perret ist Chief Digital and Marketing Officer (CDMO) bei OVH.
Xavier Perret ist Chief Digital and Marketing Officer (CDMO) bei OVH.
(Bild: OVH)

Xavier Perret: Die Anfänge der Algorithmik reichen bis ins 9. Jahrhundert zurück, bis zur Entstehung der Algebra. Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff „Algorithmus“, der sich aus dem Arabischen ableitet. In den 1970er Jahren wurden die ersten Rechengeräte entwickelt, mit deren Hilfe Algorithmen zum ersten Mal automatisch ausgeführt werden konnten. Seitdem ist die Rechenleistung der IT-Hardware ununterbrochen gestiegen, während die Algorithmen immer weiter optimiert wurden.

In den letzten Jahren hat sich hier ein großer Wandel vollzogen und die weitverbreitete Verwendung von Algorithmen ermöglicht. Dank Cloud-Computing-Technologien können große Datenmengen gespeichert und verarbeitet werden, und das zu relativ geringen Kosten. Die Performance von Supercomputern, die sich noch vor wenigen Jahren nur ein paar große Unternehmen und Forschungseinrichtungen leisten konnten, steht heute jedem beliebigen Start-up zur Verfügung.

Als direkte Folge haben Algorithmen heute so gewaltigen Einfluss auf unser Leben. Ein Algorithmus ist jedoch nicht neutral. Bestenfalls spiegelt er nur die Wünsche seiner Entwickler wider. Im schlimmsten Fall enthält er gewisse Neigungen, ohne dass sich die Entwickler darüber bewusst sind.

Diese Neigungen sind vor allem soziologischer oder kultureller Natur und befinden sich in den Datensätzen. Sie schleichen sich über Selbstlernmechanismen in den Algorithmus ein und können Menschen in „kognitiven Blasen“ einfangen oder sogar Ungleichheiten reproduzieren und verstärken.

So kann ein scheinbar vollkommen rationaler, mathematischer Algorithmus unbemerkt Vorurteile und Ungleichheiten enthalten. Ist das bedenklich, wenn es um die Empfehlung von Serien oder Filmen eines VOD-Dienstes (Video on demand) geht? Oder um die automatische Erstellung einer Playlist bei Audio-Streaming-Diensten? In dem Fall sind die Auswirkungen eher zu vernachlässigen.

Wenn es sich aber um Algorithmen handelt, die in anderen Bereichen verwendet werden, beispielsweise im Gesundheitssektor, in der Justiz, in Versicherungen, Finanzwesen oder sogar bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung, dann ist die Frage „wovon die Algorithmen wohl träumen“ durchaus gerechtfertigt, um auf das Buch des französischen Soziologen Dominique Cardon anzuspielen.

Außerdem muss eine Lösung gefunden werden, wie der Mensch die Kontrolle über Algorithmen und Künstliche Intelligenz behalten kann.

Pädagogik, Design und Audits der Algorithmen (um den Black-Box-Effekt einzudämmen) oder sogar das Loyalitätsprinzip (bei dem die Interessen der Nutzer mit bedacht werden) sind hier interessante Ansätze.

Genau wie Algorithmen ist auch die Cloud eine Technologie, die sowohl gute als auch negative Auswirkungen haben kann. Außerdem bin ich der Meinung, dass Ethik das nächste Gebiet ist, das dringend in den Bereichen Marketing und IT integriert werden muss.

Über Xavier Perret

Xavier Perret, ausgebildeter Ingenieur mit Executive MBA Diplom, ist der Chief Digital and Marketing Officer (CDMO) der OVH Gruppe.

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