Europäischer Datenschutztag Ist Datenschutz eine Hürde oder ein Wettbewerbsvorteil?
Auch wenn das Thema Datenschutz spätestens mit der Implementierung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU bei Konsumenten und Unternehmen den Alltag begleitet, gibt es noch viele Verstöße und Probleme im Umgang mit personenbezogenen Daten. Der heutige Europäische Datenschutztag ist ein guter Anlass, sich dem Thema aus verschiedenen Winkeln zu widmen. Verschiedene Unternehmer berichten von ihren Erfahrungen.
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Jede Person hinterlässt Daten zu sich selbst. Unternehmen ziehen Rückschlüsse aus den aggregierten, um auf dieser Basis potenzielle Kunden anzusprechen. Doch Daten werden auch gehandelt. Das sei ein großes Problem, sagt David Chaum, CEO des XX Network, und fordert, dass der Verkauf von Nutzerdaten mehr in den Vordergrund der öffentlichen Debatte wandert: „Konzerne wie Facebook oder Google nutzen unsere persönlichen Daten oft auf Arten und Weisen, die uns nicht bewusst sein. Gerade Metadaten stellen eine noch immer unterschätzte Gefahr bei der digitalen Kommunikation dar.“
Adé Cookies, hallo Kontext-Marketing
Dabei gibt es schon heute Alternativen zu Plattformen, die Metadaten verkaufen. Die datensichere Suchmaschine Startpage beispielsweise setzt sich für ein Internet ohne Tracking ein. Robert E.G. Beens, CEO von Startpage, geht davon aus, dass „Content und Konsens zum Maß aller Dinge“ werden, und die Zukunft der Online-Werbung im sogenannten kontextbasierten Marketing liegt: „Aus Datenschutzsicht ist Marketing auf Grundlage des Trackings mittels Drittanbieter-Cookies ein massiver Eingriff in die Privatsphäre und nicht DSGVO-konform. Es ist ein Mythos, dass gute Werbung, erfolgreicher E-Commerce oder selbst Suchmaschinen persönliche Daten brauchen, um hervorragende Ergebnisse zu liefern.“
Datenschutz als Wettbewerbsvorteil
Auch der europäische Newsletter-Marketing-Anbieter Sendinblue stellt durch das Ende der Third-Party-Cookies und die strengeren Datenschutzbestimmungen fest, dass sich das Marketing verändert. Doch anstatt darin ein Problem zu sehen, erkennt Maximilian Modl, Deutschlandchef von Sendinblue die höheren Datenschutzbestimmungen als Wettbewerbsvorteil: „DSGVO-konformes E-Mail-Marketing schützt nicht zuletzt die Unternehmen selbst vor hohen Bußgeldern. Wir wollen uns klar von unseren Mitbewerbern hinsichtlich DSGVO abgrenzen und haben unsere Server-Standorte unter anderem in Deutschland, sind TÜV-geprüft und bieten rechtssichere Verträge zur Datenauftragsverarbeitung.“
Sichere Clouds, made in Europe
Auch bei Cloud-Anwendungen spielt das Thema Datenschutz eine wichtige Rolle, und kann für deutsche und europäische Unternehmen ein Wettbewerbsvorteil sein, weiß der Gridscale-CEO Henrik Hasenkamp: „Gegenüber Märkten wie China oder den USA ist das europäische Datenschutzniveau im Bereich Cloud-Anwendungen angemessen und sicher. Gerade jetzt, wo jedes noch so kleine Unternehmen zum Hüter unzähliger, teils kritischer Kundendaten wird, ist es angebracht, diesen Aspekt nicht zu ignorieren.“
Auch das Gaia-X Projekt ist ein Schritt in die richtige Richtung: „Gaia-X wird den Datenschutz lokaler und regionaler Anbieter in Zukunft nachhaltig stärken. Der Sovereign Cloud Stack als technische Grundlage beweist schon jetzt, wie das funktionieren kann“, meint beispielsweise Alexander Wallner, CEO von Plusserver.
Es geht um Vertrauen, aber auch um Optimierung
Klar ist: Daten werden nicht zum Spaß gesammelt. Und auch personenbezogene Daten können eine sinnvolle Anwendung finden. Gerade im MedTech-Bereich sind sowohl Meta- als auch Persönlichkeitsdaten entscheidend, weiß Dr. Nikolaus Gasche, Mediziner und Geschäftsführer von Biome Diagnostics: „Wenn Unternehmen transparent darstellen, was mit den Daten der Patient:innen passiert und diese Standards einhalten, wächst das Vertrauen der Nutzer:innen. Nur so können wir Untersuchungsmethoden weiterentwickeln und individualisieren.“
Doch nicht nur die Medizin hat sich digitalisiert, auch der Einzelhandel befindet sich im digitalen Wandel. Das Stuttgarter Unternehmen Sensalytics etwa analysiert mittels DSGVO-konformer Sensorik Besucherströme auf kommerziell genutzten Flächen. CEO Omar Tello nennt sein Unternehmen das „Google Analytics für die echte Welt“ und appelliert an seine Branche: „Personenbezogene Daten sind für den Einzelhandel gar nicht unbedingt sinnvoll, und sie verstoßen klar gegen den Datenschutz. Händler verlieren so außerdem jeglichen Respekt gegenüber ihrer Kundschaft.“
Wem gehören die Daten?
Eine weitere Frage richtet sich danach, wem die Daten gehören. Dürfen Unternehmen die Daten weitergeben, gar verkaufen? Daniel Bohn, Co-Gründer und Product Lead bei Conceptboard, meint: „Die DSGVO schiebt einem unautorisierten Datenhandel einen Riegel vor und stärkt Geschäftsmodelle, welche die Sicherheit der Kundendaten selbstverständlich und ernsthaft in den Mittelpunkt stellen. Hierfür sind europäische Unternehmen prädestiniert.“
Dennoch: Unternehmen verarbeiten Daten. Nehmen wir den neuen E-Commerce-Trend des Live-Shoppings, bei dem in einem Livestream eingekauft werden kann. „Brands sollten die Kontrolle über ihre Daten nicht beim Streaming-Anbieter abgeben“, meint Marvin Zografski, CEO und Co-Founder von Harmony: „Eine saubere Dokumentation ermöglicht die schnelle Skalierung und verkürzt den internen Genehmigungsprozess. Wichtig ist auch, Maßnahmen wie das Löschen von Daten beliebig an die eigenen Anforderungen anpassen zu können.“
Die Daten wieder in die Hände der Menschen selbst legen – die Vision teilt auch Dominic Williams, Founder und Chief Scientist der Dfinity Foundation. Das Unternehmen hat einen hack-sicheren Internet Computer mitentwickelt, der Nutzern die Hoheit über ihre Daten gibt. „Mit dem Internet Computer wollen wir Daten wieder an die Menschen zurückgeben. Ich wünsche mir, dass wir in zehn Jahren das Internet vollständig umgestalten können“, äußert sich Williams zur Vision hinter seinem Unternehmen.
Datenschutz und die Bundesregierung
Susanne Dehmel, Mitglied der Bitkom-Geschäftsleitung sieht beim Thema Datenschutz vor allem die Bundesregierung gefordert:
„Die EU stellt nächsten Monat mit dem Data Act die Weichen für Europas technologische Zukunftsfähigkeit. Mit dem Data Act muss es gelingen, unser hohes Datenschutzniveau rechtlich so auszugestalten, dass die Potenziale der Datenwirtschaft freigesetzt, bestehende Hürden abgebaut und es europäischen Unternehmen ermöglicht wird, international erfolgreiche innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Zuletzt haben drei Viertel der Unternehmen in Deutschland mit 20 oder mehr Beschäftigten beklagt, dass sie bereits Innovationsprojekte aufgrund von Datenschutzbestimmungen aufgeben mussten oder nicht umsetzen konnten. Die neue Bundesregierung hat jetzt die einmalige Chance, zu einem Vorreiter der neuen Datenökonomie in Europa zu werden – und damit auch bei den Richtungsentscheidungen der Regulierung entsprechend Gehör zu finden. Dazu genügt es nicht, regelmäßig zu betonen, dass wir in Datenschutz und Datenökonomie spitze sein wollen. Vielmehr bedarf es einer genauen Analyse und konkreter Vorschläge, ob und wie die Nutzung und der Austausch von Daten rechtssicher unter den geltenden Datenschutzbestimmungen verwirklicht werden können. Soweit nötig, müssen dafür auch neue rechtliche Grundlagen geschaffen werden.
Entscheidend wird dabei sein, dass alle Ministerien der Koalition mit einer Stimme sprechen und Vorhaben wie die Einrichtung eines Dateninstituts zügig umgesetzt werden. Europa wartet nicht auf uns. Zugleich gilt es Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Nationale Sonderregelungen wie das geplante Forschungsdatengesetz dürfen einen gemeinsamen europäischen Ansatz nicht aushöhlen. Die Weiterentwicklung und Umsetzung der nationalen Datenstrategie muss sich am internationalen Rahmen wie dem EU Data Governance Act und dem kommenden Data Act orientieren. Nationale Sonderwege und Kleinstaaterei gefährden nicht nur die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit, sondern bringen Europas Datenökonomie auch international aufs Abstellgleis.“
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