Aktuelle Pläne zur Vorratsdatenspeicherung Ist die Vorrats­daten­speicherung am Ende?

Kritiker erinnern die Pläne zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) an einen Zombie, der tot geglaubt wird und dann wiederkommt. Befürworter verweisen auf die Bedeutung zum Beispiel bei der Bekämpfung von Kinderpornografie. Die neue Bundesregierung könnte die VDS nun beerdigen, doch in der EU gibt es auch andere Vorstellungen. Ein Überblick zu Positionen und Entwicklungen zur VDS.

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Die neue Bundesregierung könnte die Vorratsdatenspeicherung endlgültig beerdigen, aber in der EU gibt es auch andere Pläne.
Die neue Bundesregierung könnte die Vorratsdatenspeicherung endlgültig beerdigen, aber in der EU gibt es auch andere Pläne.
(Bild: BillionPhotos.com - stock.adobe.com)

Tausende Hinweise auf Kinderpornografie führten nicht zur Ermittlung der Täter, weil die vom Provider mitgelieferten IP-Adressen mangels in Deutschland praktizierter Vorratsdatenspeicherung bereits gelöscht waren, eine Identifizierung der Täter damit nicht möglich war, so das Bundeskriminalamt (BKA). Wie umfangreich die Ermittlungsprobleme dadurch gewesen sind, stellt das BKA so dar: „2020 betraf dies rund 2.600 Fälle. Andere Ermittlungsansätze (etwa E-Mail-Adressen oder Telefonnummern) waren in diesen Fällen nicht mehr vorhanden, die Ermittlungen mussten eingestellt werden. Die 2.600 in Deutschland nachweislich begangenen, aber wegen fehlender Vorratsdatenspeicherung nicht aufgeklärten Fälle bezieht das BKA für ein klares Bild über die tatsächlich begangenen Straftaten mit ein.“

Der frühere Bundesinnenminister Seehofer erklärte auf der BKA-Herbsttagung 2021: „Die besten Strafgesetze nützen nichts, wenn die Polizei keine ausreichenden Ermittlungsinstrumente hat und sie deshalb mit den Ermittlungen nicht hinterherkommt. Ich denke hier selbstverständlich auch an die Vorratsdatenspeicherung. Hier sehe ich eine große Aufgabe für die nächste Zeit.“

Seehofer machte seine Position ganz klar: „Wir brauchen auch die Vorratsdatenspeicherung. Wenn der Europäische Gerichtshof hoffentlich bald die rechtlichen Möglichkeiten für das Instrument der Vorratsdatenspeicherung endgültig klarstellt, müssen wir sie auch endlich nutzen. Ich habe nie verstanden, welch‘ geradezu hysterische Abwehrreaktionen der Begriff "Vorratsdatenspeicherung" hervorruft. Dabei steht hier realen Aufklärungsmöglichkeiten, deren Nutzen sich unmittelbar erschließt, nur die diffuse Angst vor einem vermeintlichen "Überwachungsstaat" gegenüber.“

Der neue Bundesjustizminister hat jedoch eine andere Sicht auf die Vorratsdatenspeicherung.

Neue Bundesregierung sieht VDS anders als vorherige

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärte im Dezember 2021: „Ich lehne die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ab und möchte sie endgültig aus dem Gesetz streichen. Sie verstößt gegen die Grundrechte. Wenn jeder damit rechnen muss, dass vieles über seine Kommunikation ohne Anlass gespeichert wird, dann fühlt sich niemand mehr frei.“

Im Januar 2022 unterstrich Buschmann seine Position zur VDS: „Wir werden die Bürgerrechte stärken und so für eine neue Balance von Sicherheit und Freiheit sorgen. Das gilt beispielhaft für die Vorratsdatenspeicherung - einem millionenfachen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung. Die Vorratsdatenspeicherung wird gestrichen.“

Im Bundestag erläuterte Buschmann die aktuelle Situation bei der Vorratsdatenspeicherung: „Wir haben hier heute eine absurde Situation: Die Vorratsdatenspeicherung steht formal im Gesetz, Gerichte haben sie aber gestoppt. Sie findet kaum Anwendung, weil die Bundesnetzagentur sie nicht durchsetzt. Die Vorratsdatenspeicherung trägt also kaum etwas zur Sicherheit bei.“

Anstelle der VDS soll ein anderes Verfahren treten, so Buschmann: „Stattdessen geben wir den Ermittlungsbehörden das Quick-Freeze-Instrument in die Hand. Das heißt, wenn es einen Anlass gibt, also den Verdacht eines schweren Verbrechens, dann ordnet ein Richter die Speicherung von Telekommunikationsdaten an, und Ermittler können sie dann auswerten. Das ist rechtsstaatlich sauber und grundrechtsschonend.“

Auf Bundesebene scheinen die Vorhaben zur anlasslosen VDS damit ihrem Ende entgegen zu gehen. Doch wie sieht es auf EU-Ebene aus?

Urteil des EuGH steht an

Wenn es nach dem Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) geht, bleibt es bei den roten Linien, die das Gericht in Sachen VDS bisher gezogen hat, berichtet der Deutsche Anwaltverein. In seinen Schlussanträgen zur deutschen Regelung stellte der Generalanwalt beim EuGH fest, dass diese nicht EU-rechtskonform sei. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt seit langem vor einer Wiederbelebung der VDS: „Der DAV lehnt die Vorratsdatenspeicherung aufgrund ihres erheblichen Eingriffs in die Grundrechte und in das anwaltliche Berufsgeheimnis weiter entschieden ab. Die anlasslose Totalüberwachung unbescholtener Bürgerinnen und Bürger muss ein Tabu bleiben.“

Der DAV verweist aber auf andere Bestrebungen in der EU: „Wie beharrlich die EU-Kommission und etliche Mitgliedstaaten dennoch die Vorratsdatenspeicherung nutzen wollen, zeigt sich an der Häufigkeit, mit der diese Bestrebungen vor dem EuGH landen – und abgeschmettert werden.“

Die deutschen Regelungen der Vorratsdatenspeicherung sind nicht mit dem EU-Recht vereinbar, so auch der Verband der Internetwirtschaft eco. Diese Auffassung vertritt der Generalanwalt im Verfahren BRD/SpaceNet AG, C-793/19. Die anlasslose und generelle Speicherung von Verkehrsdaten stehe nicht im Einklang mit dem Gebot, dass die Speicherung nur die Ausnahme sein dürfe.

Dazu sagte eco Vorstandsvorsitzender Oliver Süme: „Für eco und SpaceNet sind die Schlussanträge des Generalanwalts eine überdeutliche Bestätigung für das Eintreten gegen die Vorratsdatenspeicherung. Wir erwarten, dass der Gerichtshof sich in seinem Urteil den Schlussanträgen des Generalanwalts anschließt.“

Der EuGH wird erst in wenigen Monaten sein Urteil in der Sache fällen. Die anlasslose VDS ist also noch nicht ganz an ihrem Ende angelangt, auch wenn viele Datenschützer dieses Ende herbeisehnen.

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