100 Tage neuer Personalausweis (nPA) Pannenstart und eine nutzlose eID-Funktion
Zwei Maklerportale unterstützen den neuen Personalausweis. Wer bei der Schufa Geld lassen will, darf ihn benutzen, wer die kostenlose Eigenauskunft haben will, nicht: „Den neuen Ausweis kann man ja auch auf den Fotokopierer legen“, sagt das Unternehmen. Wer sich im Fujitsu-Online-Shop anmelden will, erfährt, dass er „Testteilnehmer“ sein muss. 100 Tage nach dem Startschuss für den neuen Personalausweis bringt die eID-Funktion nichts. Und schon gar nicht beim eGovernment.
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Gehackte AusweisApp, Produktionsprobleme – die Verantwortlichen haben sich beim Start des IT-Projektes nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Dabei hat die Regierung für 24 Millionen Euro Billig-Lesegeräte verschenkt, die von Experten als unsicher gebrandmarkt werden. Gerade mal ein Standard-Kartenlesegerät mit eigener Tastatur und Display wurde bisher zertifiziert. Nur: Die optionale elektronische Signatur unterstützt es nicht.
Unterschreiben mit dem nPA geht also noch immer nicht. Und die eID-Funktion will zumindest derzeit keine der Behörden nutzen, die sich dafür zertifizieren ließen.
Die Anstalt für kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB) will die eID-Funktion bei ihren Anwendungen in den Kommunen unterstützen. In „freier Wildbahn“ konnte die Redaktion bisher keine Behörde finden, die diesen Dokumentensafe anbietet, der schnellere elektronische Behördengänge ermöglichen soll.
Teilgenommen am Anwendungstest des Bundesinnenministeriums hat natürlich auch das Bayerische Landesamt für Steuern, das ELSTER betreibt. Erfolgreich? Wohl nicht so recht, denn der neue Personalausweis wird erst Ende des Jahres (voraussichtlich) unterstützt.
Die Stadtverwaltung Hagen war einer der wichtigsten Tester aus dem kommunalen Bereich. Eine der hervorragenden Entwicklungen sollte das Bürgerkonto sein, das mit dem nPA eingerichtet werden kann. Wer jetzt die Homepage besucht findet den Begriff Bürgerkonto nicht einmal über die Suchfunktion.
Die Deutsche Rentenversicherung, die vor Wochen unter der Online-Signaturkartenfunktion den Personalausweis richtig identifizierte, dann eine Fehlermeldung ausgab und dennoch die PIN anforderte, stellt jetzt klar, dass der nPA „in Kürze“ genutzt werden könne.
Auch die Deutsche Emissionshandelsstelle, die Meldungen nur online entgegennimmt, will vom nPA auf ihrer Website nichts wissen.
Weder Bürgerkonto noch Verwaltungsdienstleistungen mit dem neuen Personalausweis bietet die Stadtverwaltung Münster an. Dafür hat die Website, auf der man eine Meldebescheinigung anfordern können soll, wohl ein Sicherheitsproblem. Der Browser meldet, dass nicht alle Inhalte verschlüsselt übermittelt werden!
nPA-Fehlanzeige auch bei der Bundesagentur für Arbeit, die wie alle anderen genannten Stellen für die Abfrage aus dem neuen Personalausweis zertifiziert wurde.
Genauso wie das Service-Portal des Innenministeriums Baden-Württemberg „Service-bw“: Benutzerkennung und Passwort oder eine Signaturkarte sind für die Anmeldung erforderlich. Der neue Personalausweis wird nicht akzeptiert.
Und bei der Stadtverwaltung Köln gibt es auf den Internetseiten auch keine Möglichkeit, die eID-Funktion des neuen Personalausweises zu nutzen.
So sieht es im Prinzip auch bei der Hansestadt Bremen aus. Nur gibt es wohl noch andere Probleme: Firefox meldet beim Bürgerservice Probleme mit dem Zertifikat.
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„Den Neuen kann man auch auf den Fotokopierer legen“
Und die übrigen Dienstleister und Unternehmen, die sich für die Lizenz zum Ausweis-Auslesen zertifizieren ließen.
Überraschung pur ist der Online-Shop von Fujitsu. Hier wird offensichtlich weiter getestet. Kam vor einigen Wochen noch eine Fehlermeldung und die Bitte, es in ein paar Minuten noch einmal zu probieren, verkündet das Unternehmen nun: „Die Funktionalität ‚Registrieren mit dem neuen Personalausweis‘ steht nur Teilnehmern des Anwendungstests zur Verfügung.“
Wer bei der Schufa ein Jahresabo „Schufa online“ abschließen will (18.50 Euro pro Jahr), darf sich mit dem neuen Personalausweis online ausweisen.
Wer dagegen die kostenlose Datenübersicht nach § 34 Bundesdatenschutzgesetz haben möchte, muss das schriftlich und mit einer Fotokopie des Ausweises machen. Die Frage „Geht das auch mit dem neuen Personalausweis?“ löst beim Unternehmen Unverständnis aus: „Den kann man doch auch auf den Fotokopierer legen …“
Und so sieht’s bei den übrigen „Berechtigten“ aus:
Die HUK24 akzeptiert den neuen Personalausweis nur, wenn man bereits ein Benutzerkonto ohne eID-Funktion eingerichtet hat.
Bei der Cosmos Lebensversicherung ist vom nPA fast nicht zu entdecken. Nur die Sucheingabe „neuer Personalausweis“ führt zur Wohngebäudeversicherung.
Bei der Gothaer Versicherung fördert die Suche nach „neuer Personalausweis“ unter anderem die Frage zutage: „Wie sicher sind Vaterschaftstests?“.
Beim Maklerportal „easy login“ benötigt der User eine Benutzerkennung, um sich dann für Token oder den nPA zu entscheiden. Der Versicherungswirtschaftliche Datendienst nutzt offenbar für die Anmeldung am VDG-Maklerportal die Dienste von „easy login“.
Die Provinzial Rheinland Versicherung unterstützt zwar nicht die AusweisApp, bewirbt stattdessen die AutomobilApp, mit der man Unfälle vom iPhone aus melden kann.
Die Sparkasse Jena-Saale-Holzland beharrt weiterhin nur auf Benutzername und Kennwort.
Ebenso übrigens wie die Deutsche Kreditbank, die darüber hinaus auf Anfrage wissen ließ, dass Online-Banking mit dem neuen Personalausweis nicht geplant sei.
Die LVM lässt nur Benutzernamen und Kennwort zu, hetzt aber den Besitzer des neuen Personalausweises ins nächste Servicebüro, damit er sich vor Ort ausweisen kann.
bremen online services traut dem neuen Personalausweis wohl nicht so ganz: „Vor der ersten Anmeldung mit Ihrem neuen Ausweis müssen Ihre Ausweisdaten zunächst in unserer Datenbank hinterlegt werden. Melden Sie sich dazu zunächst wie gewohnt mit den Ihnen bekannten Zugangsdaten am Portal an. Nach erfolgreichem Log-in finden Sie in der rechten Spalte der Portalstartseite unter Services den Bereich Konfiguration, in dem Sie Ihre persönlichen Daten ändern und einmalig die Daten des neuen Personalausweises einlesen können.“
Die DATEV verkündet Zukunftsszenarien: „Der neue Personalausweis wird in bestimmten Anwendungsszenarien zukünftig eine Alternative zu DATEV mIDentity compact oder comfort sowie der DATEV SmartCard sein. Überall dort, wo es ausschließlich um eine Online-Authentifizierung geht, ist der nPA mit seiner Online-Ausweisfunktion eine hervorragende Alternative zu mIDentity und Co. Alle anderen Funktionen wie beispielsweise DFÜ-Anschaltungen ans DATEV Rechenzentrum, die Nutzung als Softwareschutzmodul oder die Notebookverschlüsselung bleiben auch weiterhin DATEV mIDentity oder der SmartCard vorbehalten.“
Allyve will für das Portal „mein-cockpit“ erst ein Add-on laden, um anschließend den nPA-Einsatz „in Kürze“ ermöglichen zu wollen.
Und der Rest der zertifizierten Unternehmen macht’s auch noch nicht mit dem nPA:
- Hitmeister,
- FunDorado,
- BearingPoint,
- domainfactory,
- Reiner Kartengeräte mit dem Chipkartenleser-Shop,
- novedia finance software,
- s-direkt Versicherungen,
- TeamBank AG,
- Tönjes Holding,
- VZnet,
- Zürich Vertriebs GmbH,
- Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft,
- Hannoversche Lebensversicherung,
- Allianz,
- Christoph Kroschke GmbH und
- die Deutsche Messe.
Apropos Deutsche Messe: Wetten, dass auf der CeBIT eine Fülle von unverzichtbaren Anwendungsmöglichkeiten für den neuen Personalausweis vorgestellt werden? Von einer wissen wir schon: Wer die Online-Funktion des neuen Personalausweises freigeschaltet hat, erhält freien Eintritt zur CeBIT 2011. Für die Nutzung der Authentisierungsfunktion des neuen Personalausweises wird die von der bos KG entwickelte Lösung Governikus Autent an das Kassensystem der Deutschen Messe AG angebunden.
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