Stromversorgung der IP-Telefone
Ein Grundproblem ist die Stromversorgung der IP-Telefone, falls diese nicht als PC-Softphone ausgeführt sind. Nachteile von Softphones sind vor allem die Notwendigkeit, den PC eingeschaltet haben zu müssen, um zu telefonieren und daraus folglich keine Eignung für den Notfall im Falle des Stromausfalls.
Man wird also auch ganz normale Telefone einsetzen, die eben IP-Pakete auf die Leitung schicken, sonst aber so zu bedienen sind wie gewöhnliche Apparate. Zwei Dinge sind grundsätzlich zu verwerfen: lokale Stromversorgung und Akkus. Eine lokale Stromversorgung bedeutet eine Vielzahl kleiner Netzteile und die Belegung eines 220V Steckers durch ein Telefon. Dies ist ein klarer Rückschritt gegenüber bisherigen Telefonen. Akkus sind noch bedenklicher, weil sie in ordentlichen Zyklen geladen werden müssen und nach einer gewissen Betriebszeit von einigen Jahren ausgetauscht werden müssen, weil sie nicht mehr richtig funktionieren. Sie stellen dann Sondermüll dar. Der organisatorische Aufwand ist völlig untragbar. Auch bei der Verwendung von Akkus müssen letztlich kleine Netzteile zur Anwendung kommen, die eine Erhöhung der Brandgefahr darstellen.
Also müssen IP-Telefone über die Netzwerk-Anschlusskabel mit Strom versorgt werden. Das sieht zunächst harmlos aus, ist es aber keineswegs. Bezogen auf das individuelle Kabel stellt sich die Frage, inwieweit die Eigenschaften des Kabels durch eine Niedervolt-Spannungsübertragung, sei es auch mit noch so geringer Leistung, negativ beeinflusst werden.
Wir sollten daran denken, dass viele Kabelsysteme, insbesondere Kat.5-Kabelsysteme heute an der absoluten Grenze ihrer Leistungsfähigkeit betrieben werden. Die Materialien derartiger Kabelsysteme sind auf die hochfrequente Datenübertragung ausgelegt. Die Kupferleiter könnten sich bei der Übertragung von Leistung erwärmen, die langfristigen Effekte dieser Erwärmung sind absolut nicht abzusehen, insbesondere kann man damit rechnen, dass die Isolationsmaterialien brüchig werden, weil durch die dauernde zusätzliche Erwärmung die Weichmacher aus den Kunststoffen, die ja für deren Elastizität sorgen, früher ausgeschieden werden als dies ursprünglich geplant wurde.
Selbst wenn solche Effekte nicht zwangsweise auftreten müssen, ist es dennoch äußerst unbefriedigend, mit einer solchen Unsicherheit leben zu sollen. Außerdem, es gibt Hersteller wie Lucent, die auf ihr gesamtes Verkabelungssystem eine Garantie geben, die sich auch auf die Einhaltung von EMV-Bestimmungen bezieht. Wenn Sie nun ein solches Kabelsystem zusätzlich mit der Leistungsversorgung von IP-Telefonen belasten, könnte es sein, dass die Garantie diesbezüglich verfällt, weil die Parameter von Ihnen geändert wurden.
Aber damit nicht genug: Das dicke Ende kommt nämlich im Verteilerraum. Hier muss die Leistung für die Versorgung Hunderter oder Tausender IP-Telefone bereitgestellt werden. Wegen der hohen Verluste auf den dünnadrigen Datenleitungen muss um ein Vielfaches mehr Leistung bereitgestellt werden, als tatsächlich verbraucht wird, die Differenz dient ja wie bereits gesagt, zur Beheizung der Datenleitungen.
Die Stromversorgung muss durch einen Switch erfolgen, da ja an ihm alle Leitungen zusammenlaufen. Irgendwo zwischen Endgerät und Switch muss differenziert werden, ob das Endgerät nun z.B. ein PC ist und keinen zusätzlichen Strom bekommen darf, weil die Adapterkarte sich dann verabschieden könnte oder ob das Endgerät ein IP-Telefon ist und Strom haben muss, weil es sonst nicht arbeiten kann. Nehmen wir einmal an, diese Frage würde von den Herstellern befriedigend gelöst. Dann reduziert sich das Problem auf das Netzteil im Switch. „Die paar Telefone ...“ werden manche Leser jetzt denken.
Power over Ethernet
Mittlerweile hat sich für diese Zwecke der Standard PoE (Power over Ethernet) als Erweiterung von IEEE 802.3 etabliert. Er regelt genau, wie Datenleitungen zusätzlich zur Stromversorgung genutzt werden können. Das funktioniert, ist aber in seiner Energiebilanz eine Katastrophe.
Cisco Systems verwendet z.B. bei der Reihe 6000 Netzteile von ca. 1 KW. Das ist für einen solchen Switch schon recht üppig. Die Reihe 6000 kann man so aufrüsten, dass auch IP-Telefone mit versorgt werden. Dann benötigt man aber mindestens ein Netzteil von 2.500 Watt und es geht herauf bis 18.000 W! Damit kann man heizen, und das tut man dann auch im Verteilerraum. Diese Leistung kann man im Falle eines Stromausfalles nicht aus einem Akku zaubern, sondern für den Technikraum muss eine entsprechend leistungsfähige USV vorgesehen werden. Die Mehrkosten für eine solche USV gegenüber der Situation mit reinen Switches ohne Telefonie werden in kaum einer Modellrechnung wirklich aufgegriffen. Abgesehen davon merkt man das auch an der Stromrechnung!
Und wenn man schon einmal dabei ist, wird man auch die Klimaanlage neu dimensionieren müssen, gegebenenfalls wird durch die Hinzunahme von IP-Telefonie eine Klimaanlage erst fällig. Soviel zu Risiken und Nebenwirkungen. Sehen Sie jetzt, warum man nicht mit einer einfachen „IP-Telefonie ist ja sooo preiswert ...“-Rechnung auskommt?
Verfügbarkeit
Ein weiteres Problemfeld ist die Verfügbarkeit. Generell muss man sagen, dass alte PBXn mit ihrer anspruchslosen Verkabelung sehr hoch verfügbar sind. Möchte man dies durch LANs erreichen, muss man an diesen noch heftig arbeiten, damit sie auch nur annähernd eine derartige Verfügbarkeit erreichen. Dadurch dass verschiedene Elemente untereinander verkettet werden, und die Verfügbarkeit nur das Produkt der Einzel-Verfügbarkeiten sein kann, ist die Verfügbarkeit einer einzelnen PBX mit der heutigen LAN-Technik nicht erreichbar, sondern wird deutlich darunter liegen. So oder so sind die Kosten für ein entsprechendes Design / Re-Design sehr hoch.
Alle diese Probleme sind gelöst. Was bleibt, ist die ungeheure Energieverschwendung durch die Stromversorgung von Endgeräten durch Datenleitungen, die hierfür nicht physikalisch ausgelegt sind und einen enormen Innenwiderstand haben, dessen Überwindung dazu führt, dass der größte Teil der Energie in Wärme umgesetzt wird.
Über den Autor
Dr. Franz-Joachim Kauffels ist seit über 25 Jahren als unabhängiger Unternehmensberater, Autor und Referent im Bereich Netzwerke selbständig tätig. Mit über 15 Fachbüchern in ca. 60 Auflagen und Ausgaben, über 1.200 Fachartikeln sowie unzähligen Vorträgen ist er ein fester und oftmals unbequemer Bestandteil der deutschsprachigen Netzwerkszene, immer auf der Suche nach dem größten Nutzen neuer Technologien für die Anwender. Sein besonderes Augenmerk galt immer der soliden Grundlagenausbildung.
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