Datensicherheitsexperte wettert gegen digitale Überwachung Wofür Julian Assange und Edward Snowden nicht kämpften

Quelle: Pressemitteilung Lesedauer: 4 min

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Detlev Schmuck ist mehr als sauer: „Die EU entwickelt sich zum digitalen Überwachungsstaat“, warnt der Datensicherheitsexperte und Geschäftsführer der Teamdrive Systems GmbH.

Die EU will im Kampf gegen Kindesmissbrauch digitale Datenaustauschdienste lückenlos überwachen – und verstößt damit nach Expertenmeinung gegen das deutsche Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Die EU will im Kampf gegen Kindesmissbrauch digitale Datenaustauschdienste lückenlos überwachen – und verstößt damit nach Expertenmeinung gegen das deutsche Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
(Bild: rolffimages - stock.adobe.com)

Schmucks Empörung richtet sich gegen EU und Bundesregierung zugleich: „Unter dem Deckmantel der Kriminalitätsbekämpfung führt die EU eine immer engmaschigere Überwachung der Bevölkerung ein“ und „die Bundesregierung unterstützt diese Entwicklung zum Überwachungsstaat sogar noch, statt sich dagegen zu wehren.“ Sein Vorwurf: Die Bundesregierung lehnt offenbar Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation auf EU-Ebene nicht ab, obwohl das im Koalitionsvertrag ausdrücklich verankert sei. Wörtlich heißt es dort: „Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab“.

Der Koalitionsvertrag ist zumindest in diesem Punkt das Papier nicht wert, auf dem geschrieben wurde.

Detlef Schmuck

Bereits 2022 hat Schmuck als Co-Autor des Buches „Widerstand gegen die digitale Überwachung – Wofür Julian Assange und Edward Snowden kämpften“ (ISBN 978-3-947818-93-8) vor den Auswüchsen staatlicher Überwachung gewarnt. Dabei sollte doch die private Kommunikation ohne staatliche Bespitzelung ein fundamentales Bürgerrecht darstellen, wie es auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 bereits feststellte, indem es ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hervorhebt. Die Richter weisen in diesem Urteil darauf hin, wie unkontrollierte Datensammlungen die freiheitliche Grundordnung bedrohen könnten, insbesondere im Kontext moderner Informationstechnologie.

Das Gericht verwies auf das Konzept des Panoptismus, das vom französischen Philosophen Michel Foucault eingeführt wurde. Dieses Konzept beschreibt, wie eine Gesellschaft durch Überwachungs- und Kontrollmechanismen zunehmend uniform wird. Foucaults Idee ist, dass Individuen, die sich der Möglichkeit der Überwachung bewusst sind, die Kontrollmechanismen der Macht verinnerlichen und sich so selbst regulieren, um Konformität zu erzielen.

Das Gericht erklärte, dass Menschen, die nicht wissen oder kontrollieren können, welche Informationen über ihr Verhalten gespeichert werden, ihr Verhalten aus Vorsicht anpassen. Dies schränkt nicht nur die individuelle Handlungsfreiheit ein, sondern beeinträchtigt auch das Gemeinwohl, da eine freiheitliche Demokratie die selbstbestimmte Mitwirkung ihrer Bürger erfordert.

Daher betont das Urteil, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung den Schutz des Einzelnen vor unbegrenzter Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten erfordert. Dieser Schutz ist Teil der Grundrechte nach dem deutschen Grundgesetz. Das Grundrecht ermöglicht es dem Einzelnen grundsätzlich, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.

Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen wird und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selbst aus; er internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung.

Michel Foucault: Überwachen und Strafen – Die Geburt des Gefängnisses

„In einer immer digitaleren Welt stellt die private Kommunikation ohne staatliche Bespitzelung ein fundamentales Bürgerrecht dar. Doch statt dieses Recht zu schützen, gibt sich die EU offenbar alle Mühe, es mit Füßen zu treten und wird dabei von der Bundesregierung mehr oder minder offen unterstützt“, schimpft Schmuck. Er stellt aber klar: „Bei einem konkreten Verdachtsfall muss der Staat natürlich eingreifen.“ Aber der EU-Kurs sehe vor, die Anbieter digitaler Kommunikationsdienste zu verpflichten, die Nutzerschaft ohne irgendeinen Anlass permanent zu überwachen. Das Grundrecht gewährleiste aber die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.

„Die heutige Politik kennt dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Hintergründe offenbar nicht oder missachtet sie bewusst. Jedenfalls scheint die EU-Kommission fest entschlossen, jedwede Privatsphäre in der digitalen Kommunikation in Europa abzuschaffen und die Bundesregierung geriert sich als Steigbügel dieser Politik des digitalen Gefängnisses“, beklagt Schmuck.

„Orwell-Diktat“ verbindlich in der EU

Die beiden EU-Kommissarinnen Dubravka Šuica (Demografie) und Ylva Johansson (Inneres) hatten 2022 mit Verweis auf den sexuellen Missbrauch von Kindern ein aus Brüssel kontrolliertes EU-weites Überwachungssystem für E-Mails, Datenaustauschdienste sowie iMessage, WhatsApp und andere Messenger vorgestellt. Das sogenannte „EU-Zentrum gegen Kindesmissbrauch“ soll die Online-Dienste zwingen, die Kommunikation der Nutzer lückenlos auf verbotene Inhalte zu überprüfen. In dem 125-seitigen Entwurf gibt sich die Kommission „alle Mühe, keine Lücken zu lassen“, analysiert Datensicherheitsexperte Schmuck. Anbieter, die sich dem „Orwell-Diktat“ nicht unterwerfen, sollen in Europa verboten werden. Er sagt: „2023 wird klar, dass sich Deutschland gegen diese Orwell’sche Horrorvorstellung nicht ernsthaft wehrt.“

Die Darstellung der EU-Kommissarinnen, wonach jährlich rund 85 Millionen Bilder im Internet zu finden wären, die sexuelle Gewalt gegen Kinder zeigten, hält Schmuck für „zutiefst irreführend“. Er sagt: „Jedes Verbrechen ist schlimm, solche gegen Kinder sind besonders schändlich. Aber deshalb über 500 Millionen Europäer unter Generalverdacht zu stellen, ist ebenso verwerflich. Wer sich dagegen wehrt, wird beinahe automatisch in eine Ecke gestellt, als ob er Missbrauch verharmlost oder gar verteidigt.“

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