Kommentar zur eID-Strategie der Bundesregierung

Blick auf den neuen Personalausweis

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Zu kompliziert, zu unsicher

Das Desinteresse des Bürgers hat seine Gründe: Nach Ansicht von Matthias Schulze vom Forschungs- und Technologieverbund Thüringen e.V. (FTVT) sei bereits das Beantragen der eSignatur viel zu kompliziert. Angesichts dessen ist der normale Anwender mit der Entscheidung für einen Basis- oder einen Komfort-Leser gleich völlig überfordert. Und die Begeisterung des Publikums wird sich wohl auch nicht kurzfristig erhöhen. Professor Jörg Schwenk, Inhaber des Lehrstuhls für Netz- und Datensicherheit der Ruhr Universität Bochum fällt per Mail ein vernichtendes Urteil über den Ausweis

Auf die Frage, ob denn der neue Personalausweis mehr Sicherheit für die Kunden brächte, schreibt Schwenk: „Ein ganz klares NEIN. Die eID-Funktion des nPA ist wesentlich unsicherer als z.B. chipTAN oder smsTAN“. Ob der der Basisleser zu empfehlen sei? Antwort Schwenk: „Ebenfalls ein klares NEIN. Sobald der nPA sich in der Nähe des Kartenlesers befindet, könnte die eID-Funktion von einer Schadsoftware aktiviert werden, die vorher die sechsstellige PIN aufgezeichnet hat.“

So sind unter Kriminellen beispielsweise Trojaner beliebt, um ihre Opfer auszuspionieren und dabei geheime Dokumente zu ergattern, Tastaturanschläge zu protokollieren oder das Mikrofon und die Internetkamera fernzusteuern. In einem Fachforum erläutert ein Leser, wie vorteilhaft es für einen Ermittler wäre, den Bundestrojaner gleich zusammen mit der AusweisApp des Personalausweises auf dem Computer des Verdächtigen unterzubringen.

Der Ermittler wüsste beispielsweise, welche Person die AusweisApp mit Administratorrechten auf dem PC installiert. Und der Bundestrojaner würde sogar dann noch Daten liefern, wenn der Ausweis keinen Kontakt mehr zum Kartenleser hat. Unklar ist, in welchem Zustand der Rechner des Verdächtigen nach Abschluß der Ermittlungen hinterlassen würde.

Die Konsequenz: Jeder Besuch bei jedem Amt, jede Bestellung, jede Mail und jeden Versicherungsantrag eines jeden Personalausweis-Nutzers ließe sich elektronisch verfolgen und Jahrzehnte aufbewahren und mit beliebig vielen anderen Informationen der Zielperson zu einem Lebensprofil verknüpfen. Das ließe sich beheben: Der Staat könnte garantieren, weder selbst zu spitzeln und zusätzlich Ende-zu-Ende per De-Mail zu verschlüsseln. Dann allerdings gäbe es auch für die eigenen Strafverfolger nichts mehr zu ermitteln.

Die Grenzen des Erlaubten

Unter dem früheren Innenminister Wolfgang Schäuble plante die Bundesregierung 2007, ein sogenanntes „Trojanisches Pferd“ mit einer gefälschten Behörden-Mail auf dem Rechner des Verdächtigen unterzubringen. Alle Überlegungen in dieser Richtung waren ein Jahr später schon wieder Makulatur: 2008 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Online-Durchsuchung in Nordrhein-Westfalen für verfassungswidrig und nichtig.

Im 1. „Leitsatz“ seines Urteils hat das höchste deutsche Gericht formuliert: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.“ Man spricht auch vom Computergrundrecht.

Weiter heißt es: „Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen.“

Überragend wichtig seien demnach Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt. In seiner weiteren Urteilsbegründung heben die Karlsruher Richter die Bedeutung der Menschenwürde hervor.

Auch wenn die Online-Durchsuchung auf absehbare Zeit nicht zur Strafermittlung genutzt werden kann: De-Mail und der neue Personalausweis stellen für die Bundesregierung die Voraussetzung für die Informationsgesellschaft der Zukunft dar. Mit ihrem diesbezüglichen Zeitplan ist Berlin jedoch bereits gründlich in Verzug geraten.

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