Whistleblowing-Experte: „Debatte über Meldesysteme wird antiquiert geführt“ Diskussion um Hinweis­geber­system für Steuerdelikte

Von Kai Leisering

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Das Finanzministerium in Baden-Württemberg hat kürzlich ein Hinweisgebersystem eingeführt: Damit können Bürger*innen dem Fiskus anonyme Hinweise auf Steuerdelikte melden. Medial und in der Politik sorgte dies für ambivalente Reaktionen. Neben Befürworter*innen des Systems wurde die Sorge laut, das System erinnere an die Stasi-Zeit und würde Denunziantentum ermutigen. Wieso dieser Vergleich keinen Bestand hat, weiß Kai Leisering, Experte für Whistleblowing.

Die Diskussion um ein Hinweisgebersystem für Steuerdelikte scheint antiquiert. Im Dezember werden Whistleblowing-Systeme EU-weit zur Pflicht für Unternehmen und Verwaltungen.
Die Diskussion um ein Hinweisgebersystem für Steuerdelikte scheint antiquiert. Im Dezember werden Whistleblowing-Systeme EU-weit zur Pflicht für Unternehmen und Verwaltungen.
(© Brian Jackson - stock.adobe.com)

Die Initiative, eine digitale Plattform zur anonymen Abgabe von Hinweisen gegen Steuerbetrug zu etablieren, wird aktuell mit vielen Emotionen diskutiert. Dabei werden Fakten, Vorurteile und Ängste miteinander vermischt, was der fachlichen Beurteilung nicht dienlich ist. Die aktuelle Diskussion fühlt sich etwas antiquiert an, denn von den nun Kritikführenden offenbar ganz unbemerkt, haben sich moderne und hochsichere Whistleblowing-Lösungen inzwischen zu einem wichtigen Bestandteil zeitgemäßer Compliance-Organisationen in allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen entwickelt.

So unterscheidet sich der aktuelle Fall von den herkömmlichen Anwendungsfällen

Das aktuell diskutierte Hinweisgeberportal dringt in einen Grenzbereich vor und richtet sich gegen ein gesellschaftliches Phänomen, das offenbar insbesondere in Deutschland starke Emotionen auslöst: Steuerdelikte. Anders als viele breit aufgestellte und etablierte Systeme, die sich Compliance-Risiken wie Korruption, Kartellrecht oder auch Datenschutz widmen, zielt diese Plattform auf ein einzelnes Fehlverhalten ab – den Steuerbetrug.

Das sind die Vorteile von Meldesystem

Den vielfältig vorzufindenden Meldeplattformen ist gemein, dass sie Risiken adressieren, die ohne die Anonymität nur schwer oder gar nicht aufzudecken sind und allein dies legitimiert sie. Das hat auch die EU erkannt und hat deshalb eine entsprechende Richtlinie etabliert, die zum 17.12.2021 – also in gut drei Monaten – EU-weit Whistleblowing-Systeme zur Pflicht für Unternehmen und Verwaltungen macht. Hier besteht noch viel Nachholbedarf, nur ein Bruchteil der Wirtschaft und Verwaltung hierzulande ist darauf vorbereitet.

Teil der Debatte ist die Sorge, Meldesysteme könnten Denunziantentum fördern

Das Unternehmen Business Keeper befasst sich seit 20 Jahren mit der Etablierung von hochsicheren Meldewegen, um Risiken und Fehlverhalten in unterschiedlichsten Konstellationen zu bekämpfen und aufzudecken. Es gibt langjährige Erfahrungen, zahlreiche Studien, die die Sinnhaftigkeit belegen und sogar gesetzliche Vorgaben, geeignete Meldekanäle einzurichten, um so Risiken früher zu erkennen und Schaden von der jeweiligen Organisation abzuwenden. Damit lässt sich die Organhaftung reduzieren und falls dies nicht umgesetzt wird, kann es haftungsrelevant für das Management sein. Unternehmen und Verwaltungen haben positive Erfahrungen gemacht und begreifen diese Systeme als festes Element guter und zeitgemäßer Governance.

Meldeplattformen für Einzeldelikte greifen zu kurz

Das vorliegende System ermöglicht es, anonym Hinweise zum Steuerbetrug abzugeben. Damit werden Fantasien und Erinnerungen an dunkle Zeiten im jeweiligen deutschen Staat geweckt, man befürchtet Denunziantentum, erinnert sich an Blockwarte und Stasi, befürchtet Neid und Missgunst. Das Aufgreifen von Einzeldelikten ist nach unserer Erfahrung regelmäßig schwierig und muss argumentativ gut begründet sein, beispielsweise, um einen Korruptionsskandal aufzudecken. Geschieht das nicht, muss man sich fragen, warum andere ähnlich gravierende Missstände nicht auch in adäquater Form gemeldet werden können. Hier hat sich die Verwaltung bisher nicht sehr umsichtig gezeigt und hat im Vergleich zu Unternehmen noch viel Arbeit vor sich.

Wie sicher ist das System für Hinweisgeber*innen?

Ein fachlicher Kritikpunkt trifft die Ausgestaltung des Systems: Es genügt nicht den höchstmöglichen Sicherheitskriterien und wird auf einer landeseigenen IT-Infrastruktur betrieben, was im Einzelfall staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen die Anonymität gefährden kann, denn selbstverständlich unterliegt ein vom Finanzministerium eigenständig betriebenes System dem Durchgriff der Exekutive in Form der Staatsanwaltschaft, auch das insbesondere für Behörden wichtige Thema der Barrierefreiheit wird nicht adressiert.

Über den Autor: Kai Leisering ist Experte für die Bereiche Whistleblowing sowie Compliance und Geschäftsführer des Unternehmens Business Keeper, das seit 2021 Teil der EQS Group AG ist. Er hilft Unternehmen dabei, hochwirksame Mechanismen zu schaffen, die dazu beitragen, Wirtschaftskriminalität wie Korruption, Geldwäsche und andere schwere Verbrechen gegen die Gesellschaft zu verhindern und zu bekämpfen.

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