Identitätsmüde Nutzer werden zum Angriffsziel Identity Wallets beenden das Zeitalter der Anonymität im Social Web

Ein Gastbeitrag von Heinrich Grave Lesedauer: 4 min |

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Twitter Blue, Meta Verified und die Altersverifizierung auf Instagram – das Zeitalter der vollkommenen Anonymität im Internet scheint vorüber zu sein. Nach mehr als einem Jahrzehnt geprägt von anonymen Bots und Cybermobbing auf verschiedenen Social Media-Plattformen scheint eine neue Ära der Authentizität anzubrechen. Doch wie sollen Glaubwürdigkeit und Sicherheit im digitalen Raum künftig gewahrt werden? Die digitale Identität in der Form eines Identity Wallets könnte die Antwort bereithalten.

In einem Identity Wallet können Nutzer ihre bereits verifizierten Identitäten abspeichern und sie bei Bedarf schnell und einfach zur Überprüfung bei neuen Services oder Plattformen wiederverwenden.
In einem Identity Wallet können Nutzer ihre bereits verifizierten Identitäten abspeichern und sie bei Bedarf schnell und einfach zur Überprüfung bei neuen Services oder Plattformen wiederverwenden.
(Bild: ra2 studio - stock.adobe.com)

Die Identifizierung in sozialen Netzwerken findet heute zumeist immer noch über das Duo aus Benutzernamen und Passwort statt – jede Social Media-Plattform verlangt einen Benutzernamen, der völlig frei wählbar ist, zusammen mit einem beliebigen Passwort. Je nach Plattform ist der Log-in-Prozess seit einigen Jahren auch verknüpft mit einer Multi-Faktor-Authentifizierung, beispielsweise über die Handynummer. All diese Informationen werden in Datensilos des jeweiligen Diensteanbieters gespeichert.

Aktuell kann online nicht wirklich überprüft werden, wer ein bestimmter Social Media-Nutzer tatsächlich ist. Hinzu kommt, dass die eigene digitale Identität weder übertragbar noch konstant ist. Anders gesagt, die Identität jedes Einzelnen ist über das gesamte Internet zerstreut und oft nicht mal mehr für den Nutzer selbst nachzuvollziehen. Alte, ungenutzte Konten, sei es im Social Media-Bereich oder in anderen Netzwerken, inklusive der persönlichen Daten schlummern vor sich hin und bilden dadurch eine attraktive Angriffsfläche für Identitätsdiebstahl und Phishing-Attacken.

Passwortmanager und ähnliche Dienste versuchen, der Identitätsmüdigkeit der Nutzer entgegenzuwirken, damit es durch wiederholte, einfach zu erratende Passwörter nicht zum großen Cybersecurity-GAU kommt. Aber auch Passwortdienste sind angreifbar und stehen immer wieder im Zentrum von Hackerangriffen. Das Kernproblem der Struktur liegt auf der Hand: Die von der Plattform generierten Identifikatoren werden in zentralen Datenbanken gespeichert und sind damit leichte Beute für Angreifer.

Revolution der Datensouveränität

Damit sich Nutzer sicher auf Social Media-Plattformen und künftig vielleicht auch im Metaverse bewegen können, brauchen sie eine eigene und eindeutige digitale Identität. Diese muss einzig und allein in der Kontrolle des Nutzers liegen.

Hier setzt das Konzept der „Self Sovereign Identity“ (SSI) an, die selbstbestimmte Identität. Sie erlaubt eine ethische Datenspeicherung und gibt dem Nutzer die Kontrolle über seine Daten und seine komplette digitale Identität zurück. Die Datenspeicherung an zentralen Orten, egal ob auf Servern oder in der Cloud, wird überflüssig und Silos, in denen Identitäten für alle Nutzer gespeichert sind, verschwinden. Stattdessen wird die eigene Identität auf den lokalen Geräten der Nutzer gespeichert und verwaltet. Das zentrale Angriffsrisiko, sowohl für Nutzer als auch für Unternehmen, sinkt.

In diesem Modell entscheidet allein der Nutzer, welche Informationen mit einem Dienstleister oder einer Plattform geteilt werden, und welche nicht. Ein zentraler Bestandteil dieser Architektur ist das Digital Identity Wallet – es hat das Potential, die Datensouveränität zu revolutionieren.

Verifizierte Identitäten speichern und wiederverwenden

In einem Identity Wallet können Nutzer ihre bereits verifizierten Identitäten abspeichern und sie bei Bedarf schnell und einfach zur Überprüfung bei neuen Services oder Plattformen wiederverwenden. Dadurch wird der Registrierungsvorgang nicht nur beschleunigt und zusätzlich abgesichert, sondern der Nutzer erhält auch eine Übersicht über die Plattformen und Dienste, bei denen er sich mit seinem Identity Wallet angemeldet hat. Vergessene und halbverwaiste Nutzerkonten sind damit passé.

Für die Akzeptanz der Identity Wallets ist es vor allem wichtig, dass die Identifizierung für Dienste sicher und schnell funktioniert. Der Nutzer muss seine Identität mit nur wenigen Klicks eindeutig bestätigen können. Ein Identity Wallet ermöglicht genau das, da sich der Nutzer bereits bei der Aktivierung der Wallet einer Identitätsprüfung unterzieht. Die verifizierte Identität kann nach einmaliger Identifizierung mithilfe von biometrischen Verfahren, wie z. B. Fingerabdrücken oder Gesichtserkennung, verwendet werden, ohne signifikant Zeit im Registrierungsvorgang zu verlieren.

Sicherheit, Datenschutz und Nutzerfreundlichkeit entscheidend

Sicherheit und einfache Bedienung sind für die Deutschen zentrale Eigenschaften einer Identity Wallet. Laut dem Digital Identity Index 2023 von IDnow sind den deutschen Nutzern Sicherheit (55 Prozent) und Datenschutz (46 Prozent) am wichtigsten. Für 36 Prozent ist aber auch die Nutzerfreundlichkeit, also die einfache Bedienbarkeit, ein zentrales Auswahlkriterium.

Für diese Kriterien spielt auch der Sitz des Unternehmens, das die Identity Wallet herausgibt, eine entscheidende Rolle: Nur vier Prozent trauen Unternehmen außerhalb der EU eine gleichzeitig sichere Verarbeitung ihrer Daten sowie eine nutzerfreundliche Erfahrung zu. Unternehmen mit Sitz in Deutschland wird das von 28 Prozent zugetraut. Die Zahlen reflektieren einen klaren Vertrauensentzug gegenüber den großen, amerikanischen Tech-Playern, wenn es um die digitale Identität geht.

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Die neue Ära des Social Web

Die Skepsis gegenüber den etablierten Diensten resultiert vermutlich auch aus der jahrelangen Quasi­monopolstellung dieser Unternehmen, die in einem unterregulierten Raum agierten. Durchsetzbare Regeln und Vorschriften, die sich viele Nutzer im Social Web vielleicht wünschen, hinken den technologischen Innovationssprüngen oftmals hinterher.

Vor dem nächsten Entwicklungsschritt ins Web 3.0 oder gar ins Metaverse, gilt es deshalb, die Anonymität aufzuheben und die digitale Identität im Netz zusammenzuführen. Diese Konsolidierung darf und soll nicht in den Händen einzelner, großer Unternehmen stattfinden, sondern muss vom Nutzer selbst gesteuert werden. Nur so kann ein sicheres und resilientes Social Web entstehen.

Über den Autor: Dr. Heinrich Grave ist Senior Vice President Digital Identity bei IDnow.

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