Kommunikationssicherheit am Scheideweg EU forciert den Bau quantenresistenter Kommunikationsnetze

Von Roger Albrecht

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Noch ist die Quantenkommunikation eine Wette auf die Zukunft. Gleichwohl gehen in absehbarer Zeit Rechner an den Start, die weite Teile der Informationsverarbeitung von Grund auf verändern werden. Gerade auch in der IT-Sicherheit. Europa will zu den Ersten gehören, die ausreichend gewappnet sind.

Die European Quantum Communication Infrastructure (EuroQCI) soll eine quantenresistente Sicherheitsebene schaffen, die sich EU-weit in bereits bestehende Kommunikationsnetze einziehen lässt.
Die European Quantum Communication Infrastructure (EuroQCI) soll eine quantenresistente Sicherheitsebene schaffen, die sich EU-weit in bereits bestehende Kommunikationsnetze einziehen lässt.
(Bild: Dmitry - stock.adobe.com)

Der Einzug der Quantenmechanik in die IT fordert Security-Experten noch einmal völlig neu heraus. Denn sobald erste echte Quantencomputer (Infobox) zur Verfügung stehen, verliert vor allem die bisherige Informationsverschlüsselung ihre gewohnte Wirksamkeit. Der massive Zuwachs an Rechenleistung wird Brute-Force-Attacken ermöglichen, mit denen sich herkömmliche Datenschlüssel (Public Keys) in kürzester Zeit brechen lassen. Ganz gleich wie komplex sie strukturiert sind. Ganz gleich wie häufig sie von den Anwendern geändert werden.

Die gute Nachricht aber ist: Auch aufseiten der Security ergeben sich völlig neue Möglichkeiten, um Kommunikationslösungen robuster zu machen. Die wohl zentralste Innovation zeichnet sich auf dem Gebiet der Kryptografie ab. Hier ebnet das Quantum Computing den Weg zu Verschlüsselungsmethoden, die sich nicht mehr unbemerkt kompromittieren lassen. Somit entsteht ein wirksamer Schutz gerade auch gegenüber Angriffen mit Quantenrechnern.

Neue Schutzschicht für bestehende Netze

Wer also wird die Nase vorn haben? Die Verteidigerseite oder das Angreiferlager, zu dem in immer stärkerem Maße auch staatliche Akteure zählen? Belastbare Prognosen zum Ausgang des Rennens sind derzeit nicht möglich. Zu groß ist die Zahl derer, die hohe Milliardenbeträge investieren können, um geeignete Fähigkeiten aufzubauen. Doch was aus Sicht von Verbrauchern, Unternehmen und Institutionen zuversichtlich stimmt, ist die Tatsache, dass auch die Europäische Union vergleichsweise früh (seit 2018) in den Ring gestiegen ist und dabei ihre Entwicklungsprogramme ebenfalls mit erheblichen finanziellen Mitteln ausgestattet hat.

Der europäische Vorstoß in die Quantenkommunikation ist somit vielversprechend. Herzstück ist die European Quantum Communication Infrastructure (EuroQCI). Dabei handelt es sich um ein quantengestütztes Kommunikationsnetzwerk, das ab 2027 allen staatlichen Einrichtungen sowie den Unternehmen der kritischen Infrastruktur zur Verfügung stehen soll. In der Folgezeit ist davon auszugehen, dass das Netzwerk auch für die übrigen Unternehmen der Union geöffnet wird.

Die Grundidee der EuroQCI besteht darin, eine quantenresistente Sicherheitsebene zu schaffen, die sich in bereits bestehende Kommunikationsnetze einziehen lässt. Diese Schutzschicht soll mindestens EU-weit sowie in den zugehörigen Übersee-Territorien verfügbar sein. Um eine solche Reichweite zu gewährleisten, kombiniert die EuroQCI terrestrische und weltraumgestützte Netzwerktechnologien: Während am Boden Glasfasernetze genutzt werden, kommen im All Satelliten zum Einsatz. Kernaufgabe des Satellitennetzes wird es sein, die kryptografischen Schlüssel so zu verteilen, dass tatsächlich alle Zielregionen erreicht werden. Letzteres wäre mit Bodenleitungen nur eingeschränkt möglich, da Signallicht­schwächungen den Transfer der Schlüssel begrenzen.

Breite Unterstützung in Forschung und Praxis

Die EU baut auf einer langen Tradition herausragender Leistungen in der Quantenforschung auf. Wie groß das Potenzial an ausgewiesenen Experten auf dem Kontinent ist, zeigt bereits die Tatsache, dass nicht weniger als 2.000 europäische Wissensträger an der Ausarbeitung der aktuellen Forschungsagenda der Union beteiligt waren.

Um die Ergebnisse der Forschung so rasch wie möglich in die Praxis zu überführen, wurde ein breites Konsortium aus wissenschaftlichen Instituten und privatwirtschaftlichen Unternehmen gegründet. An dessen Spitze steht der Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus. Eine der Kernaufgaben dieses Entwicklungsverbundes wird es sein, die Umsetzungsexpertise großer Telekommunikationsunternehmen, Satellitenkommunikationsbetreiber und Systemintegratoren von Beginn an in den Aufbau der Infrastruktur mit einzubinden.

Gegenwärtig konzentriert sich die Arbeit auf die Entwicklung der Quantum Key Distribution (QKD) – einer Plattform, über die der Austausch der Schlüssel erfolgen soll. Die nach den Gesetzen der Quantenmechanik erstellten Schlüssel werden es unmöglich machen, den Datenaustausch anzugreifen, ohne ihn zu verändern. Konsortialführer Airbus ist daher sicher, dass eine solchermaßen ausgelegte Schlüsselverteilung immun gegen die Verwundung durch Dritte werde.

In der Folge soll die EuroQCI eine Vielzahl weiterer Funktionen bekommen. So zum Beispiel digitale Signaturen, Authentifizierungsmöglichkeiten und Collaboration-Werkzeuge. 2024 will das Konsortium einen ersten Demonstrator vorstellen. Parallel dazu treibt man den Aufbau der Glasfaser- und Satellitennetze voran. Im Jahr 2027 soll dann die erste Version der Europäischen Quantenkommunikationsinfrastruktur in den Echtbetrieb gehen.

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Quantum Computing: Wann kommt der Durchbruch?

Entwicklung und Bau kommerziell nutzbarer Quantenrechner sind alles andere als triviale Aufgaben. Trotz milliardenschwerer Investitions-programme haben selbst Technologieführer wie Google und IBM die Laborphase noch nicht hinter sich. Als leistungsstärkster Prozessor gilt derzeit der IBM Eagle mit 127 Qubits, dessen Rechenmodell mit klassischer Computertechnik nicht mehr simulierbar ist. Wie weit man damit aber immer noch von Rechenleistungen entfernt ist, die konkrete Industrieprobleme lösbar machen, zeigen zum Beispiel Einschätzungen des Maschinenbauers Trumpf. Dessen Technologievorstand Peter Leibinger taxiert den Bedarf an Qubits auf etwa 30.000, um vollautomatisch errechnen zu können, wie sich fertige Bleche aus Werkzeugmaschinen entnehmen lassen. Hierfür das Optimum zu bestimmen, ist mit herkömmlicher Rechen-Power schlicht unmöglich und bleibt auch für Quantencomputer bis auf Weiteres außer Reichweite. Gleichwohl zieht das Entwicklungstempo inzwischen spürbar an: IBMs aktuelle Roadmap sieht die Vorstellung eines 1.000-Qubit-Prozessors für Ende 2023 vor.

Sieben Empfehlungen für den Übergang

Der Zeitplan der EU ist ambitioniert. Doch nur so wahren die Europäer ihre Chance, das quantenresistente Kommunikationsnetz früh genug an den Start zu bringen. In der Zwischenzeit empfiehlt es sich, die Best Practices der klassischen IT-Sicherheit uneingeschränkt weiter zu nutzen. Aus Sicht der Anwenderunternehmen sind dabei vor allem diese sieben Maßnahmen von Bedeutung:

  • 1. Überprüfen Sie kontinuierlich, welchen Daten Sie welche Schutzstufen zuweisen. Da sich die geschäftlichen und organisatorischen Anforderungen permanent ändern, sind die bestehenden Klassifizierungen gegebenenfalls nicht mehr zweckmäßig.
  • 2. Verlassen Sie sich nicht allein auf die externen Audits zur Datenklassifizierung und der daraus resultierenden Schutzbedarfe. Nutzen Sie die Kompetenz der Externen auch zur Vereinfachung Ihrer eigenen Assessments. Und: Treten Sie in einen dauerhaften Dialog mit dem Business, um die Angemessenheit Ihres Security-Managements kontinuierlich zu hinterfragen.
  • 3. Verbessern Sie die Sicherheit ihrer Anwendungslandschaft, indem Sie die Integrationsmöglichkeiten des DevSecOps-Ansatzes in den Bereichen Entwicklung (Dev), Sicherheit (Sec) und Betrieb (Ops) konzertiert nutzen.
  • 4. Vergegenwärtigen Sie sich, dass Ihre Cloud-Speicher nur in dem Maße sicher sind, wie dies die Supply Chain Ihres Cloud-Anbieters ist. Definieren Sie daher auch inhäusige Sicherheitsmaßnahmen und stellen Sie sicher, dass Ihre Cloud-Repositories diese Vorgaben erfüllen.
  • 5. Verschlüsseln Sie sensible Daten während des gesamten Verarbeitungsprozesses mit der höchstmöglichen Verschlüsselungsstufe. Dies gilt sowohl für die Datenspeicher (data at rest) als auch für die Daten, die sich aktuell in der Übertragung befinden (data in transit).
  • 6. Verwenden Sie unterschiedliche Schlüssel für Daten, die in verschiedenen Regionen repliziert werden, und ändern Sie diese Schlüssel regelmäßig.
  • 7. Überprüfen Sie fortwährend, inwieweit die Vorgaben der Security von der Praxis eingehalten werden. Und binden Sie externe Wissensträger ein, die aktuelle Empfehlungen und Warnhinweise für Ihre Region und Branche aussprechen.

Über den Autor: Roger Albrecht ist Director bei Information Services Group (ISG). Mit über 30 Jahren Erfahrung in der Branche unterstützt Roger Albrecht Kunden in verschiedenen Branchen bei den Herausforderungen der Unternehmensdigitalisierung und strategischen Sicherheitsinitiativen. Er ist spezialisiert auf strategische Sicherheitsberatung, um moderne Sicherheitsanforderungen im gesamten Unternehmen zu erfüllen.

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